Decolonial Travel Guide Tanzania

Decolonize Tourismus und Reisen in Tansania

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Delphine Kessy

In Tansania ist das Erbe des Kolonialismus tief in der Tourismusbranche verwurzelt. Was die Infrastruktur betrifft, so wurden während der Kolonialzeit Eisenbahnen, Straßen und Häfen in erster Linie gebaut, um die Ressourcengewinnung von Baumwolle, Kaffee, Sisal, Cashewnüssen, Nelken und Mineralien zu erleichtern. Der Kolonialismus hat auch Narrative aufgezwungen, die lokale Stimmen oft an den Rand drängten. Der moderne Tourismus, insbesondere in Afrika, wird als ein Geschäft wahrgenommen, das aus der kolonialen Erforschung und Ausbeutung hervorgegangen ist. Die Kolonialmächte stellten die „exotischen” Reiseziele als Orte dar, die es zu erobern oder zu konsumieren galt. Infolgedessen wurde der Tourismus in den kolonialisierten Ländern von der Kolonialgeschichte geprägt, wobei ausländische Unternehmen oft die Kontrolle über die Ressourcen hatten. Tourismusressourcen wurden nicht zum Vergnügen der lokalen Bevölkerung, sondern für die Besucher*innen in ihren verschiedenen Formen wahrgenommen. Irgendwann wurde den Einheimischen, die in der Umgebung der Sehenswürdigkeiten lebten, der Zutritt zu diesen verboten. Dieses Phänomen führte dazu, dass die moderne Tourismuswirtschaft und die Erhaltung der Sehenswürdigkeiten stark von externen Besucher*innen abhängig ist.

Einige der während der Kolonialherrschaft geschaffenen Infrastruktur- und Verwaltungssysteme beeinflussen weiterhin die moderne Staatsbildung Tansanias. So wurden beispielsweise Schutzgebiete wie der Serengeti-Nationalpark und das Ngorongoro-Schutzgebiet (NCA) 1951 bzw. 1959 zum Zweck des Naturschutzes und der Jagd eingerichtet. Die beiden Orte sind nach wie vor umstritten, obwohl sie zu weltbekannten Touristenzielen geworden sind. Das Erbe der Ausgrenzung und Vertreibung wirkt sich weiterhin auf die lokalen Gemeinschaften aus, die oft nur begrenzt von den Tourismuseinnahmen profitieren. In den Gebieten, in denen der Naturtourismus eine wichtige Rolle spielt, wird die Branche von wenigen Unternehmen kontrolliert, wobei ein erheblicher Teil der Einnahmen ins Ausland abfließt. Der Besitz von Luxus-Safari-Lodges und Reiseveranstaltern durch ausländische Investor*innen schränkt die wirtschaftlichen Vorteile für die lokalen Gemeinschaften in der Nähe der Nationalparks ein. Daher bleiben sie trotz des durch den Tourismus generierten Reichtums oft wirtschaftlich marginalisiert.

Kolonialismus hinterließ als Erbe kulturelle und historische Stätten, die heute touristische Attraktionen sind. So ist beispielsweise Bagamoyo, ein ehemaliger Umschlagplatz für den Handel mit versklavten Menschen und Kolonialhauptstadt, heute UNESCO-Weltkulturerbe und ein wichtiges Touristenziel. Stone Town in Sansibar mit ihren arabischen, persischen und europäischen Einflüssen ist ein bedeutender Ort für Strand- und Kulturtourismus, der sowohl von der kolonialen als auch der vorkolonialen Geschichte geprägt ist.

Abgesehen von der Kultur haben Berichte wie die von John Hanning Speke, der den Viktoriasee als Quelle des Nils bestätigt, Tansania als Ort der Entdeckung dargestellt. Diese touristischen Infrastrukturen, frühe soziale, wirtschaftliche und ökologische Reisebeschreibungen, Fotografien und die exotische Natur der Tourismusnarrative bestehen im modernen Tourismusmarketing fort, wo Tansania oft als „Safari-Paradies” vermarktet wird. Obwohl die koloniale Vergangenheit Teil der historischen Forschung und des gesellschaftlichen Diskurses ist, kann sie genutzt werden, um über den postkolonialen und zukünftigen Tourismus nachzudenken.

Weiterführende Informationen
  • Akama, John (2004). Neocolonialism, Dependency and External Control of Africa’s Tourism Industry. In M. Hall & H. Tucker (Eds.), Tourism and postcolonialism: Contested discourses, identities and representations (pp. 140–152). Routledge.
  • Christie, Iain, Fernandes, Eneida, Messerli, Hannah, & Twining-Ward, Louise (2013). Tourism in Africa: Harnessing Tourism for Growth and Improved Livelihoods. World Bank.
  • Kessy, Delphine (2022). Community Engagement in Tourism: Implication on Sustainable Heritage Management in Urban Spaces. In: Eastern African Journal of Hospitality, Leisure and Tourism, 2(1), 1–14. Online: www.researchgate.net/publication/361789877
  • Mbembe, Achille (2001). On the Postcolony. University of California Press.
  • Timothy, Dallen, & Nyaupane, Gyan (2009). Cultural Heritage and Tourism in the Developing World. Routledge.