Decolonial Travel Guide Tanzania

Voluntourismus und Freiwilligendienste – Engagement mit (Neben-) Wirkung?

Anna Mehlhorn

Jedes Jahr reisen zehntausende junge Menschen aus Deutschland in Länder des Globalen Südens mit dem Wunsch neue Erfahrungen fürs Leben zu sammeln und gleichzeitig Gutes zu tun. Dabei stehen Freiwilligendienste auch in der Kritik stereotype Rollenbilder von Helfer*innen und Hilfsempfänger*innen zu reproduzieren und postkoloniale Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen dem Globalen Norden und Globalen Süden aufrechtzuerhalten. Doch ist Freiwilligendienst gleich Freiwilligendienst?

Die Möglichkeiten sind zahlreich und für Interessierte oft unübersichtlich. Es gibt staatlich geförderte und regulierte Programme wie den entwicklungspolitischen Freiwilligendienst weltwärts (Bundesministerium für Entwicklungszusammenarbeit), kulturweit (Auswärtiges Amt) oder den Internationalen Jugendfreiwilligendienst (Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend). Darüber hinaus bieten zahlreiche kommerzielle Organisationen und Unternehmen touristische Reisen verbunden mit Kurzzeit-Freiwilligeneinsätzen an – den sogenannten Voluntourismus.

Wie unterscheiden sich staatlich regulierte Freiwilligendienste von kommerziellem Voluntourismus?

Freiwilligendienste sollten allen Beteiligten zu Gute kommen. Ein Studie von Brot für die Welt (2018) zeigt deutlich: im Voluntourismus stehen die Bedürfnisse der zahlenden Kundschaft im Vordergrund; zum Teil auch auf Kosten des Kinderschutzes in den lokalen Projekten. Darüber hinaus werden die lokalen Einsatzstellen oft nicht in organisatorische Prozesse einbezogen. So kann es passieren, dass Freiwillige lokale Einsatzkräfte ersetzen oder eine finanzielle Abhängigkeit von den Zuwendungen des Voluntourismus entsteht. Häufig erhoffen sich Einsatzstellen auch Spenden, die durch Freiwillige eingeworben werden sollen. Sind Freiwillige darauf nicht ausreichend sensibilisiert und vorbereitet, entstehen Abhängigkeiten sowie Rollen- und Interessenkonflikte. Insgesamt mangelt es an verbindlichen Qualitätsstandards für voluntouristische Angebote. weltwärts-Träger hingegen sind verpflichtend Teil von Qualitätsverbünden. Qualitätssiegel wie QUIFT können für Interessent*innen Vergleichbarkeit und Transparenz schaffen.

Umso wichtiger ist eine umfassende Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung der Freiwilligen, die im Voluntourismus oft nicht ausreichend stattfindet. Diese pädagogische Arbeit ist allerdings unverzichtbar, um Freiwillige für vorherrschende Verhältnisse und ihre Rolle darin zu sensibilisieren und sie letztlich durch das „Hands-on-Training“ im Freiwilligendienst ganz praktisch mit dem Handwerkszeug auszustatten, ebendiese (postkolonialen) Strukturen auch in Frage zu stellen und langfristig mitzuverändern. Hierin liegt die große Chance, die Begegnungen des Freiwilligendienstes zum Ausgangspunkt für weiteres transformatives Engagement zu machen. Damit darf allerdings die Verantwortung für die Arbeit an ungerechten Verhältnissen innerhalb der staatlichen Freiwilligenprogramme nicht allein auf die Handlungsebene der Freiwilligen abgewälzt werden.

Programme wie weltwärts müssen selbst koloniale Vorstellungen von ‚Entwicklung‘ hinterfragen sowie Entscheidungs- und Finanzierungsstrukturen gerechter gestalten – auch um den eigenen Ansprüchen an ein partnerschaftliches Programm gerechter zu werden.

Weiterführende Informationen
  • Brot für die Welt (2018): Vom Freiwilligendienst zum Voluntourismus. Herausforderungen für die verantwortungsvolle Gestaltung eines wachsenden Reisetrends. Berlin, online: www.tourism-watch.de/dossiers/voluntourismus
  • Fischer, Jörn (2024): Freiwilligendienste im Ausland, In: Christoph Gille, Andrea Walter, Hartmut Brombach et al.: Zivilgesellschaftliches Engagement und Freiwilligendienste, S. 269-278, Baden-Baden: Nomos Verlag.
  • Konzi, Kristina (2015): Postkoloniale Perspektiven auf „weltwärts“, Baden-Baden: Nomos Verlag.