Decolonial Travel Guide Tanzania

KILIMANJARO

Delphine Froment

Der Kilimanjaro ist eines der bekanntesten Wahrzeichen Tansanias. Mit einer Höhe von 5.895 Metern ist er der höchste Berg des Landes und das Dach Afrikas, das Kletterfreund*innen aus aller Welt anzieht. Das Massiv ist ein allgegenwärtiges Symbol: vom Slogan „The Wings of Kilimanjaro” der Fluggesellschaft Air Tanzania über die nach dem Berg benannten Fähren zwischen Daressalam und Sansibar bis hin zu den 5.000-TSH-Banknoten, dem Staatswappen oder dem Kilimanjaro Lager Beer – überall ist der Kilimanjaro mit seinem ikonischen schneebedeckten Gipfel präsent und prägt das öffentliche Leben.

Diese wirtschaftliche und symbolische Bedeutung ist jedoch direkt auf die Art und Weise zurückzuführen, wie Westler*innen den Berg im imperialen und kolonialen Kontext wahrnahmen – und später eine bestimmte Sichtweise und Nutzung des Berges durchsetzten. In Reiseführern beginnt die Geschichte des Kilimanjaro oft im Jahr 1848 mit der angeblichen „Entdeckung“ des Berges durch den deutschen Missionar Johannes Rebmann. Diese „Entdeckung“ war jedoch ausschließlich europäisch. Chagga, die an den Hängen des Berges lebten, waren bereits mit dem Kilimanjaro vertraut: Obwohl sie nie versucht hatten, den Gipfel zu erreichen, wagten sie sich zum Jagen und Sammeln in höhere Lagen und nutzten die Waldressourcen für viele Zwecke, darunter Heizen, Bauen und Imkerei. Außerdem brach Rebmann nicht allein auf. Er wurde von einem Führer und Trägern von der Swahili-Küste begleitet, die mit der Region bereits vertraut waren. Mitte des 19. Jahrhunderts lag der Kilimanjaro an der Kreuzung von Karawanenrouten, die sich über mehrere Jahrzehnte hinweg entwickelt und ausgedehnt hatten und schließlich das gesamte ostafrikanische Hinterland von der Küste bis zur Region der Großen Seen miteinander verbanden. Der Begriff „Kilimanjaro” selbst stammt wahrscheinlich von der Swahili-Küste, wo Rebmann ihn vor seiner Expedition 1848 zum ersten Mal hörte. Das Präfix „kilima” wird oft als das Kiswahili-Wort für „Berg” interpretiert, während die Bedeutung des Suffixes „njaro” umstritten bleibt (Vorschläge sind unter anderem „Berg der Größe”, „Berg des bösen Geistes” usw.). Chagga, dem die ersten „Entdecker“ begegneten, schienen diesen Namen für den Berg nicht zu verwenden und bevorzugten stattdessen manchmal den Ortsnamen „Kibo”, der heute zur Bezeichnung des Hauptgipfels verwendet wird.

Kilimanjaro (c) Marielle Gouton

Die „Entdeckung“ sorgte dennoch für Aufsehen in Europa: Rebmanns Bericht löste eine Debatte über den Schnee auf dem Kilimanjaro aus, die erst 1862 beigelegt wurde. Diese Kontroverse löste eine große Welle von Erkundungen in Ostafrika aus, einer Region, die bis dahin zu den von Europäer*innen am wenigsten besuchten Teilen des Kontinents gehörte. Bis zum Ende der 1880er Jahre versuchten etwa fünfzehn Expeditionen den Gipfel zu erreichen: Keine war erfolgreich, aber viele bewunderten den Wohlstand der Chagga, was koloniale Ambitionen schürte. Mitte der 1880er Jahre gerieten Deutschland und Großbritannien wegen des Kilimanjaros aneinander, der schließlich an Deutsch-Ostafrika abgetreten wurde. Die Landesgrenze zwischen Kenia und Tansania zeugt von den kolonialen Auseinandersetzungen der Europäer*innen. Obwohl sie vom Indischen Ozean bis zum Viktoriasee geradlinig verläuft, macht sie rund um den Kilimandscharo einen deutlichen Umweg, weil der Berg ein bedeutendes geopolitisches Problem darstellte. Inmitten dieser Rivalitäten erreichte der deutsche Forscher Hans Meyer 1889 als Erster den Gipfel des Kilimanjaro. Er benannte ihn zu Ehren des deutschen Kaisers in „Kaiser-Wilhelm-Spitze” um, brachte ihm einen Stein mit, den er am Gipfel abgebrochen hatte und etablierte damit die deutsche Präsenz auf dem Dach des Kontinents.

Während der Kolonialisierung entwickelte sich der Kilimanjaro zu einem wichtigen Wirtschaftszentrum und einem Zentrum des europäischen Einflusses in Ostafrika. Sein günstiges Klima und seine reichhaltigen Ressourcen zogen Missionar*innen, Beamt*innen und Siedler*innen gleichermaßen an. In der Region florierte die Kaffeeindustrie. Anfang der 1910er Jahre verbanden eine asphaltierte Straße, eine Eisenbahnlinie und eine Telegrafenleitung Kilimanjaro mit Tanga an der Küste und machten die Gegend zu einer der am besten an die Weltwirtschaft angebundenen Regionen Ostafrikas. Gleichzeitig entwickelte sich Kilimanjaro zu einem der bekanntesten Urlaubsziele Ostafrikas und zog Tourist*innen an, die zumindest einen Blick auf den Berg während einer Safari werfen und im Idealfall seine Gipfel erklimmen wollten. Diese aufkeimende Tourismuswirtschaft zeigte sich in der Hotelinfrastruktur, einen Alpenverein (den 1913 gegründeten „Kilimandscharo Bergverein“) und mit der Route des ersten Aufstiegswegs zum Gipfel, der mit mehreren Berghütten entlang des Weges ausgestattet war.

Der Tourismus blieb jedoch begrenzt, mit nur drei Hotels am Ende der deutschen Herrschaft und etwa hundert Besteigungen während des britischen Mandats – was den Berg zu einem exklusiven Revier für wohlhabende Westler*innen machte. Die afrikanischen Gemeinschaften, die mit dieser westlichen Herangehensweise an den Berg zunächst nicht vertraut waren, blieben nicht bloße Zuschauer*innen dieses Tourismus, sondern wurden schnell zu wichtigen Akteur*innen: Seit dem 20. Jahrhundert begannen einige Chagga neben ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit als Führer*innen, Träger*innen oder Köch*innen zu arbeiten und unterstützten Tourist*innen bei ihren Besteigungen. Dabei übernahmen sie nach und nach die europäischen Bergsteigerpraktiken – wie bei der Expedition am 9. Dezember 1962, als ein Team aus Tanganyika am ersten Jahrestag der Unabhängigkeit die Nationalflagge hisste und eine Fackel auf dem Gipfel entzündete, der neu in Uhuru Peak, den „Gipfel der Freiheit”, umbenannt wurde.

Über die Symbolik dieser Feierlichkeiten hinaus, die das Massiv zu einem mächtigen Wahrzeichen der neuen Nation erhoben, wurde der Kilimanjaro ab den 1970er Jahren zu einem zentralen Bestandteil der Tourismuspolitik Tansanias. 1971 wurde in Arusha ein internationaler Flughafen gebaut und 1973 der Nationalpark gegründet, wodurch die während der Kolonialzeit eingeführten Naturschutzmaßnahmen, zu denen auch mehrere Waldreservate gehörten, fortgesetzt wurden. Der 1977 mit neuen Kletterrouten und zusätzlichen Einrichtungen für die Öffentlichkeit zugängliche Park zog immer mehr Tourist*innen an und erreichte zu Beginn des 21. Jahrhunderts das Niveau des Massentourismus. Heute empfängt der Berg jährlich rund 50.000 Besucher*innen – darunter 35.000, die den Aufstieg wagen – und erzielt damit einen Jahresumsatz von 55 Millionen US-Dollar.

Andere lokale Nutzungen des Berges bleiben unsichtbar: eine Situation, die durch ein Seilbahnprojekt noch verschärft werden könnte. Eine seit 2019 geplante Seilbahn würde es Besucher*innen ermöglichen, in etwa 30 Minuten eine Höhe von 3.700 Metern zu erreichen, was die Aufstiegszeit erheblich verkürzen würde. Dieses Projekt würde zwar dazu beitragen, den Traum vieler Tourist*innen vom Bergsteigen zu erfüllen, aber es birgt auch die Gefahr, das Wirtschaftssystem zu untergraben, auf das viele lokale Tourismusakteur*innen heute angewiesen sind. Die Verdrängung bestimmter Gruppen (vor allem Tansanier*innen) zugunsten anderer (vor allem Westler*innen) würde eine Dynamik fortsetzen, die bis in die Anfänge des Imperialismus zurückreicht.

Kilimanjaro (c) Marielle Gouton
Weiterführende Informationen
  • Wimmelbücker, Ludger (2002): Kilimanjaro. A Regional History. Production and Living Conditions, c. 1800-1920, Münster, Lit Verlag.
  • Bender, Matthew V. (2019): Water Brings No Harm. Management Knowledge and the Struggle for the Waters of Kilimanjaro, Athens, Ohio University Press.
  • Clack, Timothy A. R. (2007): Memory and the Mountain. Environmental Relations of the Wachagga of Kilimanjaro and Implications for Landscape Archeology, Oxford, Archeopress.
  • Clack, Timothy A. R. (ed.), 2009, Culture, History and Identity: Landscapes of Inhabitation in the Mount Kilimanjaro Area, Tanzania. Oxford, Archeopress.
  • Hamann, Christof & Honold, Alexander (2011): Kilimandscharo – die deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges. Berlin, Verlag Klaus Wagenbach.