
Die Tendaguru-Expedition in Lindi: Geschichte der Dinosaurierknochen, Debatte ihrer Rückgabe und die aktuelle Situation
Acquillina Melchior Rweyemamu
Die Tendaguru-Expedition (1909–1913) war eine der größten paläontologischen Expeditionen des 20. Jahrhunderts. Sie wurde von deutschen Wissenschaftlern und Paläontologen in Tendaguru bei Lindi, im Süden des heutigen Tansania, dem ehemaligen Deutsch-Ostafrika, durchgeführt. Der deutsche Ingenieur Bernhard Sattler, Direktor der Lindi Schürfgesellschaft, suchte nach Mineralien, um sein Unternehmen nach dem Maji-Maji-Krieg zu retten. Er fand jedoch Dinosaurierknochen, die ihm Einheimische gezeigt hatten. Über 225 Tonnen Fossilien wurden ausgegraben und nach Deutschland transportiert, darunter das berühmte Skelett des Dinosauriers Giraffatitan brancai, das noch heute im Museum für Naturkunde in Berlin zu sehen ist.
Während Fossilien in Deutschland als wissenschaftliche Errungenschaft gefeiert werden, stützte sich die Ausgrabung auf die Arbeit lokaler Tansanier*innen, die oft unter Zwangsbedingungen arbeiteten und deren Beiträge nicht anerkannt werden. Die Fossilien wurden aus europäischer Perspektive betrachtet, wobei die Kolonialgeschichte und die kulturelle Bedeutung des Ortes für die tansanischen Gemeinschaften ignoriert wurden. Für die meisten Tansanier*innen symbolisiert die Expedition koloniale Ausbeutung, kulturellen Verlust und wirtschaftliche Ungerechtigkeit. In letzter Zeit gab es viele Diskussionen über die Dekolonialisierung von Museumssammlungen, wie beispielsweise den Sarr- und Savoy-Bericht von 2018, in dem die Rückgabe afrikanischer Artefakte und kolonialer Objekte gefordert wird und Museen dazu aufgefordert werden, enger mit indigenen Gemeinschaften zusammenzuarbeiten.
Rückgabeforderungen und ihre Dilemmata
Die Rückgabe der Tendaguru-Fossilien bleibt ein ungelöstes und komplexes Thema. Obwohl es bisher noch zu keiner offiziellen Rückführung gekommen ist, gewinnen die Gespräche über dieses Thema an Dynamik. Tansania hat zwar bislang keine formellen Rückgabeforderungen gestellt, aber Beamt*innen, Medien, lokalen Gemeinschaften und Politiker*innen setzen sich für die Rückgabe kultureller und historischer Artefakte ein und machen auf historische Ungerechtigkeiten sowie umstrittene Eigentumsverhältnisse aufmerksam. Die tansanische Regierung zögert mit der Rückführung und verweist dabei oft auf den Mangel an Einrichtungen und Ressourcen zur Unterbringung der Fossilien, was ein berechtigtes Anliegen ist. Im Jahr 2020 forderte jedoch ein Regierungsbeamter Transparenz hinsichtlich der Herkunft der Fossilien und leitete Gespräche über deren Rückgabe ein. Wissenschaftler*innen haben auch Alternativen vorgeschlagen, wie beispielsweise gemeinsam kuratierte Ausstellungen und Wissensproduktion, gegenseitige Schulungen, mobile Ausstellungen oder digitale Rückführung, die einen virtuellen Zugang zu den Fossilien und den damit verbundenen Erzählungen ermöglicht. All dies würde einen gerechteren kulturellen Austausch fördern. Unterdessen sehen sich deutsche Museen mit rechtlichen und politischen Herausforderungen konfrontiert, da Fossilien als wissenschaftliche Artefakte und somit Besitz des Bundes eingestuft werden.
Status quo. Wo stehen wir jetzt?

Bis heute, im Jahr 2025, befinden sich die Tendaguru-Fossilien trotz des wachsenden globalen Drucks, sie zurückzugeben, immer noch in Berlin. Einige afrikanische Artefakte wie menschliche Gebeine und heilige Gegenstände wurden an die Herkunftsgemeinschaften zurückgeschickt, Fossilien jedoch nicht. Sie werden nach wie vor eher als globale wissenschaftliche Ressourcen denn als kulturelles Erbe betrachtet. Dies hat zu offeneren Diskussionen über die Kolonialgeschichte geführt. Das Museum für Naturkunde in Deutschland hat Bildungsprogramme und Führungen zu diesem Thema eingeführt, während das Nationalmuseum Tansanias in Lindi ein Kulturerbezentrum aufbaut und Partnerschaften eingeht. Begrenzte Finanzmittel, mangelnde Infrastruktur und fehlendes Fachwissen stellen dabei jedoch Hürden dar. Bei all dem bleibt die große Frage: Reicht eine symbolische Anerkennung aus oder ist eine tatsächliche Rückgabe erforderlich?
Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Zukunft und interkultureller Inklusion
Eine sinnvolle Rückgabe erfordert Gleichberechtigung, einen kontinuierlichen Dialog und Zusammenarbeit. Museen müssen sich von kolonialen Praktiken lösen und die Herkunftsgemeinschaften von Anfang an einbeziehen. Es ist großartig zu sehen, welche Schritte tansanische und deutsche Expert*innen gemeinsam unternehmen, aber sie müssen sicherstellen, dass diese Initiativen zu langfristigen Projekten werden. Für viele Tansanier*innen haben die Dinosaurierfossilien einen monetären Wert, der der Gemeinschaft helfen kann, ihr soziales und wirtschaftliches Wohlergehen zu entwickeln. Sie stehen für kulturelle Identität und koloniales Trauma.
Daher sollte die Restitution über die Rückgabe der Knochen hinausgehen, sondern auch die Anerkennung dessen, was geschehen ist, sowie Respekt und gegenseitigen Austausch beinhalten. Diese Fossilien könnten dazu beitragen, Museen zu einem inklusiveren und global verantwortungsbewussteren Ort zu machen, anstatt sie als koloniales Objekt zu betrachten.
Weiterführende Informationen
- Chami, Maximilian Felix, Ndyanabo, Adson Samwel & Stoecker, Holger (2025): Finding Solutions for Managing, Protecting, and Promoting Tendaguru Palaeontological Site in Tanzania. In: Geoheritage 17, 44 (2025), online: https://doi.org/10.1007/s12371-025-01092-7
- Heumann, Ina, Stoecker, Holger & Vennen, Mareike (2018): Dinosaurierfragmente. Zur Geschichte der Tendaguru-Expedition und ihrer Objekte, 1906 -2017. Göttingen: Wallstein / 2021: Vipande vya Dinosaria: Historia ya Msafara wa Kipalentolojia kwenda Tendaguru Tanzania, 1906-2018. Dar es Salaam: Mkuki na Nyota / 2024: Deconstructing Dinosaurs. The History of the German Tendaguru Exhibition and Its Finds, 1906-2023, Leiden: Brill, online open access: www.brill.com/display/title/69712
- Nguyen, Thuy Ann (2022): Auf knochigem Boden, online: www.leibniz-magazin.de/alle-artikel/magazindetail/newsdetails/auf-knochigem-boden
- Podcast Geschichten aus der Geschichte (2020): Die Tendaguru-Expedition und das größte Dinosaurierskelett der Welt, Nr. 230, online: www.geschichte.fm/podcast/zs230/
- Virtual Access to Fossil and Archival Material From the German Tendaguru Expedition, online: https://www.museumfuernaturkunde.berlin/en/research/virtual-access-fossil-and-archival-material-german-tendaguru-expedition-1909-1913.