Decolonial Travel Guide Tanzania

SERENGETI UND ANDERE NATIONALPARKS

Henriette Seydel

Serengeti – ein zauberhaftes Sehnsuchtswort. Safariabenteuer, atemberaubende Natur, Elefantenherden vor dem Kilimanjaro, Giraffen beim Sonnenuntergang. Diese wunderschönen Bilder prägen den touristischen Blick auf Tansania. Der Tourismus gilt als Wirtschaftsmotor, Eintrittsgelder der Nationalparks finanzieren Umwelt- und Artenschutz.

Den dort lebenden Menschen wurde Land, Ressourcen und heilige Stätten weggenommen. Wildtiere und Natur wurden zum exklusiven Gut für Kolonialbeamte, Jäger*innen und später Tourist*innen erklärt. Die Aneignung von Land und natürlichen Ressourcen im Namen des Naturschutzes wird auch „Green Grabbing“ oder „Grüner Kolonialismus“ genannt.

Das erste Wildschutzgebiet Deutsch-Ostafrikas wurde 1896 vom deutschen Gouverneur Hermann von Wissmann in der südöstlich gelegenen Rufiji-Region errichtet. Nach dem Maji-Maji-Krieg konnte das Gebiet ausgedehnt werden, denn: es wurde entvölkert. Die Kolonialherren beantworteten den Widerstand mit Zerstörung von Dörfern und Feldern. Die Menschen, die nicht an Hunger oder Gewalt starben, flohen. Buschland und Wildtiere breiteten sich wieder aus. Der heutige Nyerere-Nationalpark hieß früher Selous, benannt nach dem englischen Großwildjäger Sir Frederick Selous. Ein anderes Beispiel der Vertreibung ansässiger Menschen ist das Gebiet des Ngorongoro-Kraters und der Serengeti. Dort, wo seit dem 18. Jahrhundert Maasai, Barabeig und Sonjo lebten, begann 1904 der deutsche Siedler Adolf Siedentopf mit Viehzucht und Landwirtschaft. Die Einheimischen mussten ihre Heimat verlassen oder wurden zur Mitarbeit auf der Farm genötigt. Reste der Mauern und Treppenstufen sind noch heute zu erkennen. Der Historiker Bernhard Gissibl bezeichnet die Ruine als einen Stolperstein menschlicher Geschichte im vermeintlich unberührten Naturparadies.

Tourismuswerbung mit Bildern „authentischer“ Wildnis

A lioness in the not entirely deserted wilderness (c) Magdalena Kula Manchee / Unsplash

Seit den 1950er Jahren, dem Beginn des – damals so genannten – Dritte-Welt-Tourismus, wird das Bild der Serengeti als tierreiches Naturparadies ohne Menschen vermarktet. Afrikaner*innen erscheinen wenn dann als Staffage: als Guides, Hotelangestellte oder Fotomotive. Einen großen Anteil am Naturidylle-Image hat der bekannte deutsche Naturforscher Bernhard Grzimek („Serengeti darf nicht sterben“), der in den 50er Jahren menschenleere Schutzzonen für Wildtiere forderte und „freiwillige“ Umsiedlungen Einheimischer propagierte.

Vertreibungen im Namen des Naturschutzes und Tourismus bleiben aktuell

Um im Zeiten des Klimawandels internationale Naturschutzziele zu erreichen, sollen in Tansania geschützte Flächen von 30 auf 50 % der Landesfläche ausgedehnt werden. Dies erfordere eine Umsiedlung der dort lebenden Menschen. Bevölkerungswachstum bedrohe die fragilen Ökosysteme, so die Regierung, da vermehrte Weideflächen und Viehhaltung den Lebensraum von Wildtieren einschränken würden. Studien jedoch zeigen, dass indigene Gemeinschaften selten negativ auf die Umwelt wirken. Im Gegenteil: Regionen, in denen zum Beispiel Maasai leben, weisen oft eine hohe Artenvielfalt auf. Tansanias Regierung spricht von freiwilliger Umsiedelung; neue Häuser, Infrastruktur und Schulen, die aber teils hunderte Kilometer entfernt sind, wurden bereitgestellt. Viele sehen diese Freiwilligkeit deswegen kritisch, da Sicherheitskräfte, Polizei und bewaffnete Wildhüter*innen Maasai gewaltsam vertrieben. Proteste wurden teils blutig niedergeschlagen, Demonstrant*innen inhaftiert. Gegen Landraub, Vertreibung und Verletzung ihrer Menschenrechte zogen die Betroffenen vor Gericht und verklagten die tansanische Regierung.

Fortdauer kolonialer, ungleicher Strukturen

Kritiker*innen sehen wirtschaftliche Interessen im Vordergrund: Jagdgebiete, Luxuslodges und Flugfelder sollen ausgebaut werden – auf Kosten lokaler Gemeinschaften. Da stellen sich Fragen nach der Logik solcher Maßnahmen. Wie widersinnig ist es, dass Maasai aus Naturschutzgründen die Nationalparks verlassen sollen, zahlenmäßig mehr Menschen rein dürfen – die gar den schützenswerten Tierbestand jagen? Und das dann mit Umweltverschmutzung durch Flüge, Jeeps, hohem Wasser- und Müllverbrauch einhergeht? Wie kommt es, dass Maasai-Häuser, Gesundheitszentren oder Schulen für ihre Kinder ein Problem für die Tier- und Umwelt darstellen, Fünf-Sterne-Hotels und Campingplätze jedoch nicht?

Nicht zuletzt profitieren vom Reiseboom und Safaritourismus häufiger ausländische Unternehmen und Investor*innen als lokale Gemeinschaften. Viele Safari-Lodges und Reiseveranstalter*innen sind nicht-afrikanisch oder gehören der tansanischen Elite. Mitarbeitende (z. B. Guides, Fahrer*innen, Köch*innen) haben oft prekäre Arbeitsbedingungen. Nach Plänen der tansanischen Regierung wird zwar derzeit der Inlandstourismus ausgebaut, Safaris bleiben aber teuer und sind somit für die Mehrheit der tansanischen Bevölkerung nicht zugänglich.

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