Decolonial Travel Guide Tanzania

Tanga Sisalplantage

Sisalplantage in der Nähe von Tanga (c) Henriette Seydel

Über die kolonialen Wurzeln der Pflanze

Kathleen Bomani

mit Dr. Valence Silayo

Während sich zeitgeistige Diskussionen über koloniale Wirtschaftssysteme oft ausschließlich auf Zucker, Baumwolle, Kaffee oder Kautschuk konzentrieren, ist die Geschichte von Sisal eine Geschichte, die noch erzählt werden muss – und die immer dringlicher wird. Angesichts der eskalierenden Klimakatastrophe und der wachsenden Nachfrage nach biologisch abbaubaren Materialien in der Automobil-, Bau- und Schifffahrtsindustrie ändern sich Konsumgewohnheiten und politische Maßnahmen, wodurch die wirtschaftliche Bedeutung von Sisal rapide zunimmt.

Die tansanische Regierung plant, die Sisalproduktion bis 2030 auf eine Million Tonnen pro Jahr zu steigern. Die Nachfrage wird durch die Bauindustrie in den Vereinigten Arabischen Emiraten, die globale grüne Agenda für biologisch abbaubare Materialien und die Automobilindustrie, die mit Naturfaserverstärkten Kunststoffverbundwerkstoffen (NFRPs) arbeitet, angetrieben. Diese Verbundwerkstoffe, die aus Fasern wie Sisal hergestellt werden, werden zunehmend von Automobilherstellern wie Mercedes-Benz, BMW und Volkswagen für die Innenausstattung von Autos, beispielsweise für Türverkleidungen und Autositze, verwendet. In der gegenwärtigen Situation ist es unerlässlich, globale Systeme und ihre kolonialen Ursprünge zu verstehen und „nachhaltige” Projekte kritisch zu hinterfragen.

Die Sisalplantagen in Tanga, Tansania, haben eine faszinierende Kolonialgeschichte. Sisal, eine Pflanze, aus der starke Fasern für Seile und andere Materialien hergestellt werden, wurde 1893 von Dr. Richard Hindorf, einem deutschen Agronomen, in der Region eingeführt. Die ersten Sisalpflanzen wurden in der Nähe von Pangani in der Region Tanga angebaut, und die Industrie wuchs unter der Kolonialverwaltung Deutsch-Ostafrikas schnell. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Sisal zu einem der wichtigsten Exportgüter der Kolonie und erhielt den Spitznamen „grünes Gold”. Die Plantagen wurden unter deutscher und später britischer Herrschaft erweitert und beschäftigten eine große Zahl von Arbeitskräften.

Bei der Untersuchung kolonialer Archive und der Korrespondenz prominenter Botaniker dieser Zeit fand ich heraus, dass Agave sisalana ein ebenso mächtiges Instrument der kolonialen Expansion und Ausbeutung war. Die Reise der Pflanze nach Ostafrika ist eine brutale Chronik von Widerstand und Ausbeutung: Der Boom der Sisalplantagen in Mexiko, die sich im Besitz von Mestizen befanden und als Haciendas bekannt waren, führte zu brutalen Übergriffen auf das Land der Maya und zwang viele Maya de facto zur Sklavenarbeit. Dieses Ereignis führte zu einem gewaltsam unterdrückten Aufstand, dem Kastenkrieg von Yucatan (1847–1901), während dessen die Aufständischen aus Profitgründen auf Plantagen in Kuba und auf den Bahamas verschleppt wurden, von denen ich vermute, dass es sich teilweise ebenfalls um Sisalplantagen handelte.

In dieser Zeit wurden trotz eines von den mexikanischen Behörden verhängten Exportverbots Sisalproben von Botanikern aus ihrer natürlichen Umgebung auf der Halbinsel Yucatan geschmuggelt. Diese wurden nach Key West in Florida transportiert, um dort versuchsweise als Ersatz für ausgelaugte Baumwollfelder angebaut zu werden. Diese Bemühungen wurden jedoch durch einen der größten antikolonialen und antisklavereistischen Aufstände der indigenen Seminole-Natives und ehemals versklavten Afrikaner*innen vereitelt. Im Widerstand gegen die Landenteignung durch weiße, von den USA eingesetzte militärische Kolonialkräfte wurde sowohl die Plantage zerstört als auch der verantwortliche Botaniker getötet.

Doch 1893 fand Sisal seinen Weg nach Deutsch-Ostafrika, wo es zu einem integralen Bestandteil der deutschen Kolonialplantagenwirtschaft im heutigen Tansania wurde und sich als Cash Crop weiter nach Kenia und Madagaskar ausbreitete.

Seine Einführung als Gewinnbringer des deutschen Plantagensystems führte zu weiterem Blutvergießen unter der indigenen Bevölkerung, Zwangsräumungen, der Versklavung von Afrikaner*innen, die auf ihren Ländereien für den Profit Europas arbeiten mussten, und Massenlynchmorden an denen, die sich wehrten, in Fortsetzung eines bereits etablierten Kreislaufs der Gewalt, der derselben tödlichen, kalkulierten und profitablen Koloniallogik folgte.

Weiterführende Informationen
  • Steinle-Paul, Elisabeth: Sisal – Comeback in Zeiten der Plastikflut in HABARI 02/2025 „Landwirtschaft“: HABARI-Magazine | Tanzania Network e.V.
  • Tambila, A. (1974): A History of the Tanga Sisal Labour Force, 1936-64. Masters Dissertation, University of Dar es Salaam.
  • Tanzanian Ministry of Agriculture (2023): Film about Tanzanian Sisal, online: www.youtube.com/watch?v=Nq1rD3rw1zc&ab_channel=TrueVisionProduction%28T%29Ltd
  • Sabea, H. (2008): Mastering the Landscape? Sisal Plantations, Land, and Labor in Tanga Region, 1893–1980s. International Journal of African Historical Studies Vol. 41, No. 3  411
  • Wenzel Geißler, P., Gerrets, Rene, Kelly, Ann H. & Mangesho, Peter (2020): Amani – Auf den Spuren einer kolonialen Forschungsstation in Tansania, Bielefeld: Transcript-Verlag

Ein Besuch einer Sisalplantage in der Region Tanga bietet Einblicke in die Geschichte dieser Kulturpflanze, von ihrem Anbau und ihrer Pflanzung bis hin zur Ernte, Verarbeitung und zum Export, während man einen weiten Blick über die Monokulturplantagen genießen kann.

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