Wie das Gunzert-Haus in Mwanza für die postkoloniale Zusammenarbeit zwischen Tansania und Deutschland genutzt wird
Delphine Kessy
Das Gunzert-Haus in der Stadt Mwanza ist eines der Gebäude aus der Kolonialzeit, das restauriert wurde, um eine einzigartige Gelegenheit zu bieten, den Tourismus durch Inklusion, kulturellen Austausch und historische Versöhnung neu zu gestalten. Das Haus liegt nur fünf Gehminuten vom berühmten Viktoriasee entfernt. Es ist ein greifbares Zeugnis der kolonialen Verwaltungsarchitektur Tansanias, insbesondere der deutschen Kolonialzeit im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die Restaurierung begann Ende 2019 nach Erhalt von Fördermitteln der deutschen Bundesregierung und wurde 2021 abgeschlossen. Das restaurierte Gunzert-Haus bietet die Möglichkeit, die komplexe Geschichte zu hinterfragen, strategisch neu zu gestalten und in einen postkolonialen Rahmen zu stellen.
Gemeindebasierter Tourismus
Die Restaurierung des Gunzert-Hauses war nicht nur ein Akt der historischen Bewahrung, sondern auch ein Symbol für Inklusivität. Die Einbeziehung der indigenen Gemeinschaften in den Tourismus durch ihre Integration in die Verwaltung und Kuratierung der Stätte fördert das Verantwortungsbewusstsein der lokalen Gemeinschaften. Empowerment-Programme wie Selbsthilfegruppen von Frauen, die Herstellung von Souvenirs und Schulungen für Reiseleiter*innen bieten die Möglichkeit zur Selbstständigkeit und fördern gleichzeitig eine gerechtere Verteilung der Tourismuseinnahmen.
Deutsch-tansanische Zusammenarbeit
Das Gunzert-Haus-Projekt wird sowohl von tansanischen als auch von deutschen Akteuren, darunter die Stadt Würzburg, finanziert und stellt eine gemeinsame Initiative zur Aufarbeitung der gemeinsamen kolonialen Vergangenheit dar. Das Haus dient heute als soziokulturelles Zentrum, Museum, Kunstgalerie und Forschungszentrum. Es bietet auch einen Raum für tansanische und deutsche Gruppen, um einen Dialog über ihre gemeinsame Geschichte zu führen und das gegenseitige Verständnis und den kulturellen Austausch zu fördern, unter anderem durch historische Ausstellungen oder kulturelle Darbietungen.
Dekolonialisierung des Tourismus durch das Gunzert-Haus
Das Gunzert-Haus bietet eine einzigartige Gelegenheit, den Tourismus zu dekolonisieren, indem es seine Erzählung neu definiert. Traditionell war der Tourismus in Tansania von kolonialen Perspektiven geprägt, wobei die Erfahrungen und Beiträge der lokalen Bevölkerung oft außer Acht gelassen wurden. Die Ausstellungen des Hauses, wie „Usukuma in der deutschen Kolonialzeit” und „Mwanzas verborgene Geschichten”, zielen darauf ab, diesen Fokus zu verschieben, indem sie die Geschichte und das Erbe der Region aus tansanischer Perspektive beleuchten.
Die Bildungsprogramme zur Kolonialgeschichte und ihren Auswirkungen bieten den Besucher*innen die Möglichkeit, sich kritisch mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Dieser Ansatz stellt andere Narrative in Frage, die das Tourismusmarketing dominiert haben, und rückt stattdessen die Stimmen derjenigen in den Mittelpunkt, die historisch marginalisiert wurden. Darüber hinaus fördert die Rolle des Hauses als kulturelles und historisches Zentrum den kulturellen Austausch, bei dem gegenseitiger Respekt und Gleichberechtigung im Vordergrund stehen. Es zieht ein breiteres Publikum an, darunter auch einheimische Tourist*innen, insbesondere Schüler*innen, die historisch gesehen vom Tourismus ausgeschlossen waren.
Herausforderungen und Chancen
Trotz seines Potenzials steht das Gunzert-Haus-Projekt vor Herausforderungen wie der Vereinbarkeit von Denkmalschutz und moderner Inklusivität, was eine sorgfältige Abwägung der Komplexität des kolonialen Erbes und der modernen kulturellen Beziehungen erfordert. Das Projekt muss sich auch mit der langfristigen Finanzierung und Nachhaltigkeit des Hauses befassen, damit es auch für künftige Generationen eine nutzbare Ressource bleibt. Diese Herausforderungen bieten jedoch auch Chancen für internationale Zusammenarbeit und Finanzierung, insbesondere durch Akteure, die an der Förderung ethischer und inklusiver Tourismuspraktiken interessiert sind. Das Gunzert-Haus in Mwanza ist nicht nur ein restauriertes Kolonialgebäude, sondern ein Symbol für historische Versöhnung und kulturellen Austausch.
Gunzert-Haus Mirongo Hill, Temple St. ⅼ Telefon: +255716397856 / +255754819590 ⅼ E-Mail: gunzerthouse@gmail.com ⅼ Instagram: @gunzerthouse
Die Städtepartnerschaft zwischen Würzburg und Mwanza
Michael Stolz
Vom Gunzerthaus hörte ich erstmals 2012 im Frühling, als Mama Salalah, eine gebürtige Koblenzerin mit tansanischer Staatsangehörigkeit aus Mwanza, auf unsere Einladung hin für eine Woche nach Würzburg kam. Sie brachte ein Papier aus dem Tourist Department der St Augustine’s University Tanzania (SAUT) mit. Darin wurde beschrieben, dass hundert Jahre zuvor vom deutschen Gouverneur Theodor Gunzert auf einem der typischen kegelförmigen Hügel im heutigen Stadtgebiet von Mwanza eine Residenz gebaut worden war, die mir bei meinen mehrfachen Besuchen in der Stadt noch nicht aufgefallen war. Bei meinem nächsten Besuch in Mwanza fand ich aber das alte Haus, das man problemlos von der Rooftop-Bar des Nachbarhotels Gold Crest sehen kann – auf Augenhöhe. Hinzukommen erwies sich als nicht so einfach, weil der Zugang nur von der Mitte des Marktes her möglich ist. Zwischen zwei Shops muss man sich nur hindurchdrängen und dann einen etwas verwachsenen Weg aufwärts nehmen – und schon hat man das verwunschene alte Jugendstil-Haus vor sich. Ich nahm also für den MWANZA e.V. das Papier entgegen. Ungewiss, was daraus werden könnte, reichte ich es an Würzburg International weiter.

2016, im 50. Jahr der Städtepartnerschaft zwischen Würzburg und Mwanza kam es dann zu einem ersten Planungstreffen aller an diesem Projekt Interessierten: Delphine Kessy vom Tourismus Department der SAUT, Bernd Schmidt von der Würzburger Stadtverwaltung, Walburga Hirschbeck und Michi Rösser, zwei ASA-Geförderte1, die ihren Aufenthalt der Problematik um das Gunzert-Haus gewidmet hatten, Amin Abdallah Amin von der Stadt Mwanza, Isack Asfao von der Künstlerinitiative AfriCalabash, Michael Stolz vom MWANZA e.V.. Es gab einen intensiven Meinungsaustausch, der davon geprägt war, das Haus zu einem kulturellen Zentrum auszubauen, das für Künstler*innen, als Stadtmuseum oder für Seminare gebraucht werden könnte. Auch die deutsche Botschaft in Tansania sollte einbezogen werden. Durch mehrere ASA-Aufenthalte, teils in Zusammenarbeit mit der SAUT wurden die geschichtlichen Hintergründe und die Möglichkeiten der Nutzung weiter erforscht.
Tja, und dann entwickelte sich das Haus, bis es im November 2021 mit Anwesenheit des Würzburger Oberbürgermeisters Christian Schuchardt eingeweiht werden konnte. Seit September 2023 finden im Gunzert-Haus die Robotik-Workshops des MWANZA e.V. statt. Geschirr und ähnliches wurde von der Stadt Mwanza gestiftet, alle sonstigen Kochutensilien, Kühl- und Kochmöglichkeiten mussten mühevoll den Berg hinauf gebracht werden.

Verzeichnis der deutsch-tansanischen Städte-Partnerschaften: www.tanzania-network.de/informationen/nordsüdpartnerschaften/städte
- ASA steht für entwicklungspolitische „Arbeits- und Studienaufenthalte“ im Globalen Süden – ein vom deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziertes Programm. ↩︎



